market-interview.com mit Sebastian Hell (über Rohstoffe)


"Rohstoffe im Fadenkreuz der Europakrise: Wie Firmen jetzt reagieren müssen"

Sebastian Hell ist Chefredakteur des Informationsdienstes Stahl & Metallpreis aktuell (www.stahl-metallpreise.de) . Er berät außerdem Hedge Fonds bei der Umsetzung komplexer Handelsstrategien für Rohstoffe und hilft mittelständischen Unternehmen sich gegen unerwartete Preisschwankungen abzusichern. Herr Hell ist ein gern gesehener Redner auf Finanzmessen sowie durch zahlreiche Interviewauftritte bekannt.

 

 market-interview.com: Wie sehen Sie die derzeitige Lage an den Rohstoffmärkten? Müssen wir mit steigenden oder fallenden Notierungen bis zum Jahresende rechnen?

Sebastian Hell: Momentan ist es sehr schwierig Prognosen abzugeben, da die Märkte wie Sie bereits erwähnt haben sehr unsicher sind. Ich war seit Ende des letzten Jahres der Meinung, dass die Rohstoffpreise deutlich überbewertet waren und wir im Verlauf des Jahres eine Korrektur der Notierungen sehen würden. Dies traf auch ein, da Rohstoffe wie Stahl, Nickel, Kupfer oder Öl teilweise deutlich an Wert verloren haben. Betrachtet man das große Bild im Rohstoffsektor haben wir sogar Rückgänge von teilweise über 20 Prozent erlebt. Das bedeutet den Beginn eines neuen Abwärtstrends und damit eine weitere Verbilligung in den kommenden Monaten. Kurz gesagt, ich sehe nach wie vor Potential nach unten bei den meisten Rohstoffen.

market-interview.com: Gibt es einen Rohstoff für den Sie besonders große Abgaben erwarten?

Sebastian Hell: Bei Eisenerz hat sich die Krise noch nicht sonderlich stark ausgewirkt. Während die Stahlpreise deutlich auf unter 400 US-Dollar pro Tonne gefallen sind, zeigte sich Eisenerz mit Kursen um 140 US-Dollar pro Tonne sehr stabil. Allerdings sehen wir neben den Problemen in Europa auch eine nachlassende Nachfrage aus China. Der Motor der chinesischen Volkswirtschaft wird zusehends schwächer, da das Land mit vielen hausgemachten Problemen, vor allem im überhitzten Immobiliensektor kämpft. Ich erwarte daher für Eisenerz Preise zwischen 100 und 110 US-Dollar in den kommenden Monaten.

market-interview.com: Bedeutet das, dass Firmen von der Krise profitieren, da sie fallende Notierungen erwarten?

Sebastian Hell: Ja und Nein. Die Preise sollten weiter nachgaben, da viele Investoren den Rohstoffmarkt verlassen. Viele Hedge Fonds bauen Positionen ab und verkaufen Rohstoffe auf Termin. Dadurch entsteht viel Druck auf die Preise. Firmen profitieren von diesem Trend. Allerdings kann eine Verschlimmerung der Krise in Europa sich schnell auf die Realwirtschaft durchschlagen. Unternehmen müssten sparen und Mitarbeiter entlassen sowie die Nachfrage einstellen. Dies wäre kontraproduktiv.

market-interview.com: Denken Sie, dass es den Euro in 10 Jahren noch geben wird?

Sebastian Hell : Diese Frage kann ich nicht abschließend beantworten, da hier sehr komplexe Vorgänge und viele Leute am Werk sind. Ich gehe davon aus, dass es den Euro geben wird, jedoch nicht in der aktuellen Variante. Momentan versuchen unsere Politiker noch uns zu beruhigen und dass es keinen Austritt aus dem Euroraum geben wird. Wer sich jedoch die Versprechen von vor zwei Jahren durchliest bezüglich Hilfen für andere Länder, dass es kein Geld geben wird, keine Bürgschaften und dass alles nicht so schlimm sei, der kann das Spiel schnell durchschauen. Ich rechne damit, dass die schwachen Länder austreten werden und der Euroraum sich gesund schrumpfen wird, ähnlich einem Unternehmen das zu schnell zu groß wurde und dann den Überblick verloren hat.

market-interview.com: Würden Sie die Umschichtung von Geldern in andere Währungen empfehlen?

Sebastian Hell: Definitiv. Ich würde jedoch weiter über den Tellerrand blicken als nur bis zum Schweizer Franken. Dieser ist mittlerweile sehr teuer und die Notenbank der Schweiz versucht eine weitere Aufwertung mit allen Mitteln zu verhindern. Einen Teil des Geldes kann immer in Franken lagern, jedoch sollte man auch US-Dollar sowie Nordwährungen haben. Wer sich auskennt, kann auch auf asiatische Währungen setzen.

market-interview.com: Haben Sie abschließend noch einen Tipps für unsere Leser?

Sebastian Hell: Momentan ist es sehr schwierig das Richtige zu tun. Die Märkte bewegen sich teilweise um fünf Prozentpunkte und mehr an einem Handelstag. Was gestern noch billig war, kann heute schon deutlich teurer sein. Der Trend zeigt jedoch wie erwähnt nach unten. Rohstoffe werden daher tendenziell billiger, auch wenn Zwischenerholungen immer stattfinden werden. Firmen sollten die billigen Preise nutzen aber immer darauf achten, dass wir uns in einer Abwärtsbewegung befinden und daher keine Eile geboten ist. Auf Vorrat muss aufgrund der sich verbilligenden Preise niemand kaufen.

market-interview.com: Vielen Dank, Herr Hell , für das Gespräch.

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